Kalksteinbrüche Amerika bei Groß Morschin (Mořina)

 

Das Gebiet des Böhmischen Karsts (český kras) verfügt über zahlreiche Standorte der Kalksteingewinnung.  An einigen Orten erfolgte die Gewinnung dabei bereits im Mittelalter, wie es zum Beispiel für die Kalksteinbrüche gilt, welche an der Moldau direkt vor den Toren Prags liegen. Demgegenüber erlangten einige Steinbrüche erst wesentlich später Bedeutung, wobei die Produktionsmenge aber teils außergewöhnlich große Ausmaße annahm. Dazu gehören insbesondere die nördlich der Burg Karlstein (hrad Karlštejn) gelegenen Kalksteinbrüche, die heute unter dem Namen "Amerika" bekannt sind. Hier liegen mehrere große und kleine Abbaubereiche auf engem Gebiet beieinander und bilden eine beeindruckende Bergaulandschaft. Der Beginn des Abbaus erfolgte erstaunlicherweise erst im späten 19. Jahrhundert, als im Kohlerevier um Kladen (Kladno) immer größere Mengen Kalksteins als Zuschlagstoff für die Schmelzöfen der Eisen- und Stahlhütten benötigt wurden. Der Umstand, dass die hochwertigen Kalksteinschichten aufgrund einer intensiven Faltungs- und Bruchstruktur verteilt lagen, machte es nötig, dass das gesamte Gebiet mit Stollen erschlossen wurde. Von den Erschließungsstollen aus konnte dann in den Bereichen hochwertiger Kalksteine mit der Anlegung von kesselartigen Kalksteinbrüchen begonnen werden. Einige dieser Brüche erreichten gewaltige Dimensionen von teils über 100 m Länge und 50 m Tiefe. Bemerkenswert ist dabei, dass durch das Stollensystem eine Verbindung von übertägiger Steinbrecherei und untertägiger Förderung gegeben war.

 

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kleine Antiklinale in einem Kalkstollen
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Überblick über die größten Kalkbrüche bei Groß Morschin (Mořina) (Karte: © OpenStreetMap-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0, https://www.openstreetmap.org/copyright)

 

Entwicklung der Kalksteinbrüche "Amerika" bei Groß Morschin (Mořina)

Die eigentlich abseits der Verkehrswege gelegenen Kalksteinbrüche bei Groß Morschin (Mořina) enstanden in konkretem Zusammenhang mit der Hüttenindustrie der Stadt Kladen (Kladno). Diese hatte zunächst ihre Rohstoffe Eisenerz und Kalkstein (als Zuschlagmittel im Hochofen) aus Nutschitz (Nučice) bezogen, wozu 1856 eigens eine 24 Kilometer lange Bahnlinie eröffnet wurde. Mit der stetig steigenden Produktion wurde die Erschließung neuer Kalksteinbrüche notwendig, so dass von Nutschitz (Nučice) aus in mehreren Etappen weiter nach Süden abbauwürdige Lager erschlossen wurden (u. a. bei Tachlowitz (Tachlovice) und am Berg Holý vrch). Erst 1891 wurde dann bei Groß Morschin (Mořina) durch Gottfried Bächer nachweislich mit einem regulären Abbau von Kalksteinen begonnen. Bald erwarb die Prager Eisenindustrie Gesellschaft die Steinbrüche, um direkte Lieferungen an ihre Eisen- und Stahlwerke in Kladen (Kladno) gewährleisten zu können (siehe dazu den Beitrag zur Adalbert-Hütte). Folglich bestimmte nunmehr ein kapitalstarkes Unternehmen die Kalksteingewinnung, wodurch die Realisierung moderner und auf große Kapazitäten ausgelegter Technologien möglich wurde. So entstand ein einzigartiges System von Erschließungs-, Erkundungs- und Förderstollen, welche für den Betrieb von Kleinbahnen ausgebaut wurden. Die beiden nachfolgenden Kartenschnitte veranschaulichen die rasche zeitliche Entwicklung der Brüche um 1900.

 

Die Entwicklung der Steinbrüche lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Zuerst wurden durch sogenannte "Schnitte" die oberflächennahen Kalksteinschichten erkundet. Waren geeignete Kalksteinlager ausgemacht, kam es zur Auffahrung von Erkundungsstollen in diesen Bereich. Als geeignet galten solche Kalksteinschichten, die eine senkrechte Bankung aufwiesen, da hier der Einsatz von Schießpulver minimiert werden konnte. Es wurde dabei nach dem Prinzip der Unterhöhlung gearbeitet, so dass die Gesteinsmassen in der Folge durch die Schwerkraft in die dafür vorgesehenen Stollen und Schächte stürzten. Waagerechte Kalksteinbänke konnten erst mit Einführung der pneumatischen Bohrtechnik bearbeitet werden, was hier zuerst ab 1906 möglich war. Die Erkundungsstollen wurden, wenn bauwürdige Lager aufgefunden worden waren, nachträglich erweitert, um die Förderung per Bahn möglich zu machen. Nur in einigen Bereichen sind die ursprünglichen Erkundungsstollen mit kleinem Profil bis heute erhalten geblieben.

 

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Der sogenannte "Velké Rešno" ist ein Beispiel für einen Anschnitt mit dem die Lagerungsverhältnisse der Kalksteinschichten geprüft wurden.

 

War der Förderstollen vollendet, konnte mit der Erschließung des Steinbruchs begonnen werden. Dazu wurde ein Schacht zur Oberfläche geführt. Im Bereich um den Schacht konnte dann das Gestein abgebaut werden, wobei der Schacht selbst als "Rollloch" diente. Das heißt, das geförderte Material wurde hier hinein geschüttet, so dass es direkt in bereitstehende Wagons der Kleinbahn auf dem Förderstollen fiel. War der Abbau bis auf das Niveau des Förderstollens vorangeschritten, musste eine tiefere Etage erschossen werden, wozu das Abteufen eines Schachtes nötig wurde. Da der Standort des alten Verarbeitungsbetriebes bei Groß Morschin (Mořina) auf 356 m über NN lag, konnte bis 1963 kein tieferes Stollensystem zur Förderung genutzt werden. Bis dahin mussten bei der Tieferlegung der Steinbrüche Hebevorrichtungen genutzt werden, die geförderte Kalksteine zum Hauptförderstollen brachten.

 

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Prinzipskizze der Förderung am Rollloch (Quelle: Informationstafel vor Ort)

 Veranschaulichung der Förderung am "Rollloch": Die Grubenbahn verläuft entlang eines unter dem Kalksteinbruch angelegten Förderstollens. Zwischen dem Förderstollen und dem Steinbruch existieren Rolllöcher als Schrägschächte. Auf diese Art kann das im Steinbruch gewonnene Gestein direkt in den darunter liegenden Förderstollen geschüttet werden. Somit kann in den Brüchen problemlos in die Tiefe gearbeitet werden, ohne aufwändige Strossen für den Transport aus dem Bruch anlegen zu müssen. Mittels der Grubenbahn im Förderstollen verläuft der Transport hingegen niveaugleich bis zur am Mundloch erfolgenden Weiterverlaung auf die Eisenbahn.

 

Der Haupterschließungsstollen hat eine Länge von 2.950 Meter. Er verläuft auf 375 Meter über NN und weist ein Profil von 2,5 x 2,5 Meter auf. Interessant ist ein Projekt aus den 1940er Jahren, bei welchem geplant war, diesen Stollen nach Westen zum Tal des Baches Bubovický potok zu verlängern. Dort sollte die Kleinbahn über eine Brücke in den gegenüberliegenden Hang führen und weiter bis zum Kalksteinbruch Alcazar (Hostim I) am Ufer der Beraun führen. Damit hätte sich die Länge des Haupterschließungsstollens etwa verdoppelt. Das Vorhaben wurde mit Kriegsende nicht mehr realisiert.

 

Bildbericht

 

Kalksteinbruch Velká Amerika

Der gewaltigste Kalksteinbruch dieses Gebietes wird "Velká Amerika" ("Groß Amerika") bezeichnet. Er ist über einen halben Kilometer lang und etwa 80 m tief, wobei auf allen Seiten die Wände fast senkrecht aufsteigen. Auf seinem Grund hat sich Grundwasser in einem azurblauen See gesammelt, der nochmals 18 m tief ist. Lange Zeit stiegen Jugendliche auf waghalsigen Pfaden hinab, um hier zu baden. Aufgrund der immer wieder auftretenden Abstürze bei dieser Kraxelei ist inzwischen eine Absperrwand errichtet worden, die den Weg zum See verhindert.

 

Kalksteinbruch Mexiko

Der als "Mexiko" bezeichnete Bruch ist zwar weniger lang als der östlich liegende Bruch "Velká Amerika", jedoch wirken die auf allen Seiten nahezu senkrecht einfallenden Wände hier noch schroffer. Es wird deutlich, dass die Abbaumethode in solchen kesselartigen Brüchen nur mittels unterirdisch vorgetriebener Strecken möglich gewesen ist. Öffnungen dieser Förderstrecken sind teilweise noch an den Bruchwänden auf verschiedenen Höhenniveaus (Sohlen) zu sehen.

 

Kalksteinbruch Kanada

Dieser Bereich der Kalksteinbrüche wurde stark mit Abraum verkippt. Der tiefste Bereich des Bruchs "Kanada" wird auch als "Azurové Jezero" ("Azursee") bezeichnet. Hier mündet die Hauptstrecke, welche alle westlich gelegenen Kalksteinbrüche erschloss. Das Mundloch liegt auf dem Betriebsgelände und ist nicht frei zugänglich, so dass eine unbefugte Befahrung des weitläufigen Stollensystems nicht möglich ist.

 

Kalksteinbruch "Malá Amerika"

Der Steinbruch "Malá Amerika" (= "Klein Amerika") liegt bereits im ausgedehnten Waldgebiet des Naturreservats Karlstein. Der kesselartige Bruch besitzt eine Länge von ca. 170 m, eine Breite von knapp 60 m und eine Tiefe bis zur Wasseroberfläche von um die 50-60 m. Ursprünglich wurde hier bis auf die 5. Sohle in 348 m über NN gefördert, jedoch ist diese mittlerweile geflutet. In einer Höhe von 375 m über NN passiert die Hauptförderstrecke auf der 3. Sohle den Bruch, wobei mehrere galerieartige Öffnungen zum Bruch vorhanden sind.

 

"Arnova štola"

Vom Areal der Steinbruchschmiede westlich des Bruch "Malá Amerika" führt der "Arnova štola" als 20° geneigter Schrägschacht hinab zur 3. Sohle. Leider ist nach wenigen Metern ein Verbruch erfolgt, weshalb der Durchstieg nicht mehr möglich ist. Der Stollen ist leider auch stark vermüllt und sollte wohl eher als "Müllschacht" bezeichnet werden...

 

Kalksteinbruch "Modlitebna" mit dem Stollen "Gaislerova chodba"

Der kleine Kalksteinbruch "Modlitebna" ("Tempel" bzw. "Bethalle") befindet sich auf Höhe der 2. Sohle. In seiner nördlichen Wand mündet der sogenannte "Gaislerova chodba" ("Gaislergang"), welcher nach Norden zu den Brüchen "Liščí lom" und "Malé Kamensko" führte. In diesem Stollen sind einerseits interessante geologische Details zu beobachten (v. a. eine schöne Schichtung und Faltung der Kalksteinbänke), andererseits ist hier eine Winde teilweise erhalten geblieben, mit der die Förderung auf dem sogenannten "Hagen Schrägschacht" von der 2. zur tieferen 3. Sohle erfolgte. Diese Einrichtung war nötig, da alle genannten Kalksteinbrüche auf der 2. Sohle lagen und die geförderten Steine zuerst zum Hauptförderstollen auf der 3. Sohle verbracht werden mussten. Dort erfolgte der Weitertransport bis zum ca. 800 m weiter östlich liegenden Mundloch im Bruch "Kanada".

 

Kalksteinbruch "Liščí lom" und die Garage im "Gaislerova chodba"

Kurz vor der Mündung des "Gaislergangs" in den Kalksteinbruch "Liščí lom" ("Fuchsbruch") verhindert heute ein Verbruch den Durchgang. Deshalb kann der "Gaislergang" aus dem "Fuchsbruch" heute nur noch in nördlicher Richtung begangen werden, obwohl auch dort nach ca. 100 m ein Verbruch den Durchgang zum Bruch "Malé Kamensko" verhindert. Interessant ist jedoch, dass auf dem "Gaislergang" wenige Meter nördlich des "Fuchsbruchs" die sogenannte "Garage" zu finden ist. Es handelt sich um eine Kammer in der die Grubenbahnen gewartet werden konnten. Noch vor dieser Kammer führt der sogenannte "Liščí stola" ("Fuchsstollen") in östlicher Richtung parallel zum "Fuchsbruch". Nach einer Gabelung enden beide Stollenvortsätze nach wenigen Metern. Offenbar handelte es sich um Erkundungsstollen. Der "Gaislerstollen" dient zahlreichen Fledermäusen als Quartier.

 

sonstige Brüche westlich von "Malá Amerika"

Im Waldgebiet finden sich noch zahlreiche kleinere und größere Brüche. Diese sind oft stark verwachsen. Teilweise können noch Stollen begangen werden. Die Zugänge zum Hauptförderstollen auf der 3. Sohle sind jedoch vergittert.